Wenig nur, aber warm

Bruder Paulus berichtet von einer Nacht in der Winterübernachtung für wohnungslose Menschen in Frankfurt am Main

Schnarchen. Husten. Einmal ein leises Stöhnen. Ansonsten: Ruhe. Als um 22 Uhr das Licht gelöscht wird, hat jeder der  Männer seinen Schlafplatz eingerichtet mit einer Liegematte und einem Schlafsack. Am Kopfende steht meistens ein Rucksack, eingerahmt von zwei oder drei Plastiktüten. Am Fußende markiert eine grüne Kiste: Hier liegt jemand. Tagsüber ist sie Behältnis für den Schlafsack und Nachtutensilien. Jeden Abend holen die Männer sie aus dem Lagerraum im Keller der Tagesstätte des Caritasverbandes Frankfurt e.V.. Wo tagsüber bis zu 200 Männer und auch Frauen sich aufhalten, frühstücken, zu Mittag essen oder zu Abend, schlafen nun tagtäglich von Mitte November 2015 bis Mitte März 2016 wohnungslose Menschen, bis zu 35 Männer und 10 Frauen, in je eigenen Bereichen.

Jeden Sonntag ist ein Kapuziner mit dabei 

Die Franziskustreff-Stiftung engagiert sich hier finanziell und personell. Da hier auch Gäste übernachten, die im Franziskustreff frühstücken, erhält der Caritasverband Frankfurt e.V. als Träger der Winterübernachtung neben dem Hauptzuschuss von der Stadt Frankfurt auch von der Franziskustreff-Stiftung eine finanzielle Hilfe. Damit dieses Angebot den Bedürfnissen der Gäste entspricht und gleichzeitig auch den Anforderungen einer guten Sozialarbeit gerecht wird, sind hauptamtliche Mitarbeiter für die Bedürftigen da. Ab 20 Uhr bauen sie die Tagesstätte zu einer Notübernachtungsstätte um, richten die Duschen im Keller her, überprüfen die Toiletten, trennen den Frauenbereich vom Männerbereich ab und bereiten die Teeausgabe vor. Ab 21 Uhr heißen sie die Gäste willkommen, überprüfen, ob sie angemeldet sind, wachen wähend der Nacht und stehen für Notfälle bereit. Jeden Sonntagabend ist in diesem Winter einer von fünf Brüdern aus der Kapuzinergemeinschaft Frankfurt Liebfrauen mit dabei als ehrenamtlicher Helfer für den Franziskustreff, sodass in dieser Nacht nur ein Hauptamtlicher eingesetzt werden muss.

Ein friedliches Nachtlager

Der Dienst beginnt um 21 Uhr. Die ersten Gäste treffen ein. Wer übernachten will, muss sich zuvor beim Franziskustreff oder in den Tagesstätten des Caritasverbandes dazu gemeldet haben. Anschließend geht es zur St. Elisabeth-Straßenambulanz. Dort geht es um Hygiene und medizinische Fragen. Wenn von da das o.k. kommt, werden die Gäste in einer Gästeliste eingetragen, die es ihnen erlaubt, am Abend vorzusprechen und eingelassen zu werden. An diesem Abend sind es 24 Männer, und im Frauenbereich drei Frauen, die dieses Angebot annehmen. Die Atmosphäre ist freundlich und heiter. Viele kennen mich vom Franziskustreff. Wer mich nicht kennt, wird von den Kollegen darauf hingewiesen, dass da heute ein Kapuzinerbruder mit dabei ist. Zeit für Gespräche ist an diesem Abend wenig. Später gibt es bei den Frauen  einen Konflikt zu schlichten, und bei den Männern behauptet einer recht laut, er habe immer diese eine Stelle zum Schlafen gehabt. Der hauptamtliche Helfer kennt solche Auseinandersetzungen schon, und als Neuling stehe ich eher dabei als dass ich eingreifen muss. Ich bewundere die Ruhe, mit der diese Aufregung angegangen wird und schließlich auch beruhigt werden kann: Jeder muss auf den anderen Rücksicht nehmen, jeder und jede ist an diesem Abend in der gleichen Situation, alle sind mit verantwortlich, dass diese nächtliche Gemeinschaft bietet, wozu sie eingerichtet wurde, nämlich ein friedliches und sicheres Nachtlager.

Konflikte vermeiden. Oder beenden.

Pünktlich um 22 Uhr werden die Lichter gelöscht, die letzten kommen noch vom Zähneputzen, ein Mobiltelefon klingelt und erinnert daran, dass nun alle nochmal nachsehen, dass es keine Störung gibt durch Anrufe in der Nacht. Fast hätte ich einen Nachtsegen gesprochen, aber das lasse ich jetzt und spreche leise für alle ein Nachtgebet.

Um 23 Uhr und 0.30 Uhr erfolgt ein Rundgang um die Tagesstätte. Der Kontrollgang ist auch als Signal für die Nachbarn notwendig. Noch längst nicht alle haben sich daran gewöhnt, dass tagsüber wohnunglose Menschen kommen, geschweige denn nun dort notfallmäßig auch noch nächtigen. In dieser Nacht ist auch draußen alles ruhig. Sven, der Hauptamtliche, erzählt mir, dass dies nicht immer so ist. Wenn es gar nicht anders geht, muss auch schon mal die Polizei gerufen werden, was aber recht selten vorkommt.

Jeder mit seinem Namen

Um 5 Uhr eine erste Bewegung im Schlafsaal, die sich nach Packen anhört. Grußlos verlässt einer der Männer den Raum und geht, kurz danach eine Frau. Vielleicht scheuen sie die allgemeine Aufbruchstimmung, die entsteht, wenn um  6 Uhr die Lichter aufflammen und die Schlafenden wecken. Eine Stunde ist nun Zeit zur Morgentoilette und zum Packen der Sachen. Im Keller werden die grünen Kisten wieder aufeinander gestapelt, die Schlafmatten aufgerollt und zusammengestellt. Jede Kiste hat einen Namen, ebenso jede Matte, ein schwacher Versuch, Privatsphäre zu wahren, aber dennoch ein wichtiges Signal an die Betroffenen.

Liebe braucht Ordnung

Um 7 Uhr verlassen die letzten Gäste den Übernachtungsraum. Viele gehen direkt zum Franziskustreff, wo sie mit einem reichhaltigen Frühstück erwartet werden. In der Bärenstraße heißt es nun, Tische stellen und Stühle, vorher fegen, die Toiletten durchsehen, und alles so bereitstellen, dass der Morgenbetrieb um 9 Uhr wieder aufgenommen werden kann in der Tagesstätte. Um 7.45 Uhr dann Ende der Nachtschicht. Unspektakulär und wohlgeordnet. Ich bin zufrieden, dass es sich als richtig erwiesen hat, die Erfahrungen des Lebens im Kloster in die Konzeption dieses Angebotes aufgenommen zu sehen: Klare Regeln, persönliche Ansprache, Einladung an jeden persönlich, Wohlwollen zu üben. Die Winterübernachtung mag wenig nur an Hilfe für den Einzelnen sein. Eingebunden in die anderen Angebote, die der Franziskustreff macht und die anderen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe, nicht nur des Caritasverbandes in Frankfurt, ist sie ein wichtiger Baustein, den wohnungslosen Menschen zu zeigen, dass sie sich auf ihre Mitmenschen verlassen können, gerade im Winter.

Eine Wohltat von vielen für viele

Der Franziskustreff, sein Frühstückstisch und die soziale Beratung kann nun auch Dank unseres Kooperationspartners diese Winterübernachtung für seine Gäste anbieten. Ohne die vielen Wohltäterinnen und Wohltäter, die dem Franziskustreff ihre Gaben spenden für die Menschen in Not, könnten wir uns dort nicht so engagieren. Der persönliche Beitrag, den die Kapuziner sonntags abends durch ihre ehrenamtliche Mithilfe einbringen, möge unsere Spenderinnen und Spender anfeuern, dem Werk von Bruder Wendelin weiter treu zu sein.

Bruder Paulus Terwitte
Dezember 2015

Bilder: Bruder Paulus