Der Wendepunkt: arbeitsunfähig

Bruder Wendelin hat bei kälteren Nächten die Obdachlosen in der Kirche bzw. Gemeinde übernachten lassen. Das gibt es allerdings nicht mehr, weil es unter anderem mittlerweile auch eine Großzahl von Möglichkeiten gibt, wo Obdachlose übernachten können.

Wie zum Beispiel der Kältebus, der abends Runden dreht und die Obdachlosen in den Ostpark fährt, wo Container stehen, mit ein-, zwei- oder vierbett Räumen, wo sie dann übernachten können. Diesen Bus nutze ich auch manchmal. Es gibt dort dann eine Decke, ein Bettlaken und eine Flasche Wasser. Ich wohne auch seit längerer Zeit in so einem Container, habe aber einen Behindertenausweis beantragt aufgrund meiner Erkrankung Epilepsie. Mit dem Ausweis würde ich eine Wohnung bekommen. Das dauert jedoch relativ lange. In den Containern am Ostpark leben ca. 1000 Personen. Ich kriege auch des Öfteren Krampfanfälle und war deswegen schon mehrere Male in der Intensivstation. Ich fühle mich in der heutigen Zeit stark diskriminiert und werde oftmals z.B. als Krüppel beschimpft, was mich sehr verletzt, weil ich mich dadurch entmenschlicht fühle. Im Franziskustreff wird so ein Verhalten nicht toleriert und falls es vorkommen sollte, wird derjenige direkt mit einem Rausschmiss bestraft. Ich bin obdachlos, seit ich zum „Krüppel“ wurde. Dies war dann der Wendepunkt in meinem Leben.

Als gelernter Metzger und Koch bin ich „überqualifiziert“

Im Ostpark, wo ich wohne, darf man das Essen nicht in den Kühlschrank stellen, weil es sonst nach wenigen Minuten schon weg ist. Ich habe eine Ausbildung als Metzger und auch als Koch und war auch öfters schon beim Arbeitsamt. Die meinten aber, dass sie momentan keine passende Stelle für mich hätten, weil ich zu überqualifiziert wäre. Ich habe deutschlandweit viele Jahre als Koch gearbeitet, bevor ich obdachlos wurde. Mein Opa war Architekt. Insgesamt hatte ich fünf Geschwister. Vier Brüder und eine Schwester. Ein Bruder verstarb wenige Monate nach der Geburt und ein anderer Bruder verschwand kurz vor seinem 28. Geburtstag. Meine Familie geht davon aus, dass er von einer Sekte getötet wurde, in der öfters schon Personen, die ihnen nicht passten, verschwanden. Ich war damals sehr stark. Damals habe ich ohne Probleme 50 Kilo pro Arm getragen. Aber weil ich eine Schrumpfniere habe, habe ich innerhalb von 2-3 Monaten von 86kg auf 59kg abgenommen. Momentan wiege ich so 65 Kilo. Ich versuchte herauszufinden, wer genau meinen Bruder umgebracht hat, was nicht klappte.

Der Arzt übersah den Wirbelsäulenbruch

Ich bin aufgrund eines Streites mit meiner Frau und meinem Stiefsohn damals freiwillig aus dem Haus gegangen. Weil wenn ich im Haus geblieben wäre, hätte es geknallt, falls sie einen Typen mitgebracht hätte. Ich hätte mich nicht zurückhalten können allein deswegen schon, weil ich Schlachten gelernt habe, und dies wollte ich vermeiden, und da bin ich lieber gegangen. Ich bin weiterhin verheiratet, wir haben uns nie scheiden lassen. Ich arbeitete auch nach meinem Auszug aus dem Haus als Koch und musste um die 1000 Euro Unterhalt an die Frau und meinen Stiefsohn überweisen. Als ich erkrankte, fehlte mir einfach die Kraft für die Alltagsaufgaben und ich wurde obdachlos. Ich habe mir als 12-Jähriger die Wirbelsäule 3-4 Mal gebrochen, also vom letzten Brustwirbel bis zum letzten Lendenwirbel. Ich war damals beim Arzt, der mir sagte es sei nichts, es sei nur eine Zerrung. Dann bekam ich eine Nierenkolik. In der Klingerstraße an der Konstablerwache, wo ich in einem Restaurant arbeitete, traf ich einen älteren Herrn, der Urologe war. Er rief mich zu sich in die Praxis und machte mehrere Röntgenbilder. Dann meinte er, dass ich eine Schrumpfniere habe und das durch die Brüche an der Wirbelsäule im Alter von 12 Jahren passiert ist. Der Arzt wunderte sich, dass der Arzt das damals nicht bemerkte. Trotz gebrochener Wirbelsäule habe ich den Beruf Metzger gelernt!

Ein Indianer kennt keinen Schmerz

Letztes Jahr habe ich mir mal das Becken gebrochen. Ich wollte mich hinsetzen und setzte mich daneben, weil mir schwarz vor Augen geworden war und ich setzte mich zwischen zwei Stühle, wo es dann knackte und der Beckenbruch kam. Ich lag mehrere Stunden im Bahnhofsbereich, da mich längere Zeit keiner gefragt hat, ob ich Hilfe brauche, weil ich als betrunken betrachtet wurde. Bis „Blauleute“ kamen und mich fragten, ob wir jetzt alle zusammen hochgehen wollen. Ich meinte, ich könne nicht, da ich mir was gebrochen habe und sie fragten mich, ob ich einen Krankenwagen will. Ich erinnere mich, dass ich mir gegen Mittag die Hüfte gebrochen habe und erst nach 20 Uhr abends im Krankenhaus war. Ich bin wie ein Indianer, weil Indianer keinen Schmerz spüren. Ich habe mich immer nur zusammenflicken lassen und ging meinen Weg weiter. Nach dem Bruch war ich nur 1,78m groß kam beim Arzt mehrere Male auf die Streckbank, wo sie mich dann auf 1,85m gezogen haben. Ich war ca. 25 Mal auf der Streckbank. Wenn ich durch die Stadt laufe, bekomme ich oft gesagt: „Hau doch ab, du Krüppel“, oder „Hau doch ab du scheiß Krüppel“. Ich würde diese Menschen gerne nach solchen Unfällen und Erkrankungen sehen wollen, ob sie da noch rumlaufen könnten oder nur liegen bleiben würden.