Frau Frei*
Die weibliche Seite der Obdachlosigkeit sehen
Für obdachlose Frauen bedeutet das Leben auf der Straße zusätzliche Gefahren und Herausforderungen. Sie bewegen sich daher anders in der Öffentlichkeit als Männer. Sind weniger sichtbar. Auch weil sich viele Frauen ohne eine Zuhause verdeckt wohnungslos durchs Leben schlagen. Das heißt, sie kommen temporär bei Freunden, Familie oder in Zweckgemeinschaften, meist Partnerschaften unter. Manchmal auch mit und wegen Kindern.
Viele obdachlose Menschen leiden unter psychiatrischen Erkrankungen. Oft sind die Beeinträchtigungen ein Grund für die Obdachlosigkeit. Sie fallen durch das Hilfenetz und landen schließlich auf der Straße. Oder werden psychisch krank, durch das Leben ohne sicheres Zuhause. Obdachlose Frauen erfahren zudem noch einmal mehr Bedrohung und Gewalt als obdachlose Männer Hinzu kommen oft Süchte: Alkohol und andere Drogen. Verzweifelte Bewältigungsstrategien, die keine sind. Aber vielen bleibt nur das Verdrängen, das Betäuben, das aus der Realität nehmen. Der Realität, die zum Alptraum wurde.
Sozialarbeiterin Andrea Knechtel über die Begegnungen mit einer obdachlosen Frau, die immer wieder zum Franziskustreff kommt:
„Ihre Sätze sind unvollständig, abgehackt. Fragmente - scheinbar ohne Zusammenhang. Wir wissen nicht viel über sie - das ist oft so, auch bei anderen. Die Wörter sind wie Teile eines Puzzles. Es bleiben Versuche, sie immer wieder zusammenzusetzen. Um etwas zu verstehen.
Sie hat viel Schlimmes erlebt, Ereignisse, die ihr den Geist genommen haben. Auch das ist oft so. Es gibt Erlebnisse im Leben, die kaum auszuhalten sind und verdrängt werden müssen. Sie lebt in ihrer Welt, in ihrem eigenen Film. Das Drehbuch kennt niemand. Ihr Film könnte Freiheit heißen. Frei sein. Von allem - auch von der Kleidung. Draußen sein, leben wie ein Tier - sich nicht festhalten lassen. Immer unterwegs auf Frankfurts Straßen. Begegnung ist schwer mit Frau Frei, immer kurz… ein Augenblick. Mehr nicht.
In Beratungsgesprächen mit Menschen, die auf der Straße leben, geht es immer wieder um ähnliche Themen: Traumatisierung durch Gewalt. Missbrauch - oft schon in den Kindertagen. Niemand war da, dem man sich anvertrauen konnte. Niemand, der es hören wollte. Manchmal noch nicht einmal die eigene Mutter oder die Eltern. Abhängig davon, wer es war.
Die Auswirkungen auf die Entwicklung und auf das weitere Leben sind dramatisch. Die Seele ist für den Rest des Lebens zerstört. Die Menschen – und oft sind es auch Frauen - innerlich zerrissen. Die einen sind noch da - gezeichnet, verhaltensgestört, auffällig, suchtabhängig… aber noch da. Vielleicht noch zu erreichen. Irgendwie, mit viel Zeit. Beziehungszeit. Eine Herausforderung für jeden in der Sozialarbeit… Einfach da sein. Mensch sein und zuhören. Ohne zu bedrängen. Ein Vertrauensverhältnis aufbauen, und für die da sein, denen es besonders an einem stützenden Umfeld fehlt. An sie glauben und ihr Fels in der Brandung sein. Bei den Erfolgen. Und besonders bei Rückschlägen.
Und die anderen verlieren ganz ihren Geist. Wie Frau Frei. Kaum Chancen, sie zu erreichen. Das ist besonders schlimm. Aushalten, zusehen und immer überlegen, was ist jetzt zu tun. Gibt es eine Möglichkeit ihr zu helfen - ihre Lebenssituation zu verbessern? Das ist nicht immer einfach, besonders, wenn alles abgelehnt wird. Die Erkrankung lässt es nicht zu. Viele lassen die Einsicht, dass sie krank sind und Hilfe brauchen nicht zu. Oder sind zu krank, um es überhaupt erkennen zu können.
Dann ist Hilfe von außen beinahe unmöglich. Denn die fehlende Bereitschaft sich behandeln zu lassen, rechtfertigt keine Unterbringung. Eine Selbst- oder Fremdgefährdung muss vorliegen. Oft hört man, warum machen sie nichts - sie müssen doch etwas machen.
So leicht ist es nicht. Das geben die Gesetze nicht her. Und nach der Entlassung, das gleiche Spiel. Zurück auf die Straße und dann…?“
Eine Hand reichen
Man kann niemandem Hilfe aufzwingen. Das ist natürlich klar. Aber man kann Angebote schaffen, die sich so nah wie möglich an den Bedürfnissen von Menschen in Not orientieren.
So handhabt es das Team aus Haupt- und Ehrenamtlichen seit jeher im Franziskustreff und der gleichnamigen Stiftung. Daraus entstand das wöchentliche Nachmittagsangebot ReBeCa. Ein Begegnungscafé für die Gäste des Franziskustreffs zum Reden, Begegnen und bei kleinen Snacks wie im Café.
Für jeden und jede ist mal etwas dabei. Es gibt sogar exklusive Veranstaltungen nur für Frauen. Dieser besondere Bedarf begegnet den Mitarbeitenden beim Frühstück, in der Sozialberatung und auch in der Sprechstunde der Praxis für Wohnsitzlose immer wieder: Denn selbst wenn die Atmosphäre im Treff herzlich ist und sicher, fühlen sich die Frauen im Beisein von Männern unwohler.
Das Vertrauen in die Einrichtung baut Brücken
Obdachlosen Menschen fällt es oft schwerer Hilfe anzunehmen. Viele haben schlechte Erfahrungen mit Vertrauen gemacht. Erschweren dazu psychische Erkrankungen die Situation, wie bei Frau Frei, so hilft der Dreiklang von Frühstück, Sozialberatung und der nervenärztlichen Versorgung besonders. Durch die Angliederung an die Hilfseinrichtung, ist der zur Behandlung meist notwendige, langwierige Beziehungsaufbau zu Betroffenen möglich. Das Vertrauensverhältnis und das niederschwellige Angebot sind entscheidend für die Bereitschaft zur Behandlung. Und beides erhöht die Chancen auf nachhaltige Besserung und Heilung.
„Wenn obdachlose Frauen zu uns kommen, sehen wir mehr als nur äußere Not. Wir sehen Geschichten. Gesichter. Verletzungen Das Leben auf der Straße ist rau, besonders für Frauen. Viele erleben Gewalt, Missbrauch und Ausgrenzung. Die Angst wird zum ständigen Begleiter. Es fehlt an Schutz, an Hilfe, an Vertrauen. Wer ständig überleben muss, wird irgendwann müde.
Die Seele hält nicht mehr Schritt mit dem Schmerz. Psychische Erkrankungen nehmen zu, viele Frauen verlieren sich selbst –in der Einsamkeit, in der Sprachlosigkeit, im Rückzug. Das alles konnte ich und Svetlana durch die vielen Gespräche erfahren.“, so Maria Kilchenstein.
Die Hauswirtschaftlerin schafft gemeinsam mit Sozialarbeiterin Svetlana Strojan regelmäßig einen Safe-Space für die weiblichen Gäste des Franziskustreffs. Dann sind nur sie im Begegnungscafé zu Reden Begegnen und Café eingeladen. Mit Tanzen, Wellness oder gemütlichen Gesprächsrunden.
Und Sozialarbeiterin Andrea Knechtel begleitet das Kursangebot “ICH” im Franziskustreff: „Das sind 7 Termine im Jahr bei denen die Gästinnen Wohlergehen und Gesundheit stärken – durch Entspannung, Atempausen und Klänge. Angeleitet von einer professionellen Gesundheitstherapeutin. Die Klangschalen und deren Schwingungen werden von den Frauen als besonders angenehm erlebt. Viele Frauen haben den Kontakt zu ihrem Körper gänzlich verloren. Die traumatischen- und Gewalterlebnisse haben ihre Spuren im Körper hinterlassen. Sie fühlen sich nicht mehr - sind innerlich abgeschnitten. Durch die angeleiteten Übungen kommen sie ganz langsam wieder mit sich in Kontakt. Ein langsames Spüren durch bewusstes Atmen und das Spüren der Klänge. Und die Rückmeldungen sind so berührend: ,das ist das Schönste, was ich je erlebt habe', sagte eine obdachlose Frau über 70zig nach einer Kurseineinheit.".
*Name von der Redaktion geändert.