Menschlich und direkt etwas bewirken

06.08.2025
Wie immer nach dem reichhaltigen Frühstück werden an die Gäste ein Stück Kuchen oder süße Stückchen verteilt.
Reden, Begegnen, Tee: Alexander und Bruder Michael beim gemeinsamen Teeseminar für die Gäste.

Warum Alexander Wellerdt obdachlosen Menschen ehrenamtlich hilft

Alexander könnte samstags auch die Beine hochlegen. Schließlich arbeitet er jede Woche sechzig, manchmal siebzig Stunden. Aber er stellt den Wecker auf 5:30 Uhr in der Früh – um rechtzeitig im Franziskustreff zu sein. Dort serviert er regelmäßig den von Obdachlosigkeit und Armut betroffenen Gästen ein abwechslungsreiches Frühstück. Und servieren heißt auch servieren: mit blütenweißer Schürze, direkt an den Platz, am eingedeckten Tisch. Ganz wie in den gemütlichen Cafés der Stadt.

Erleben, wie kleine Gesten schon viel helfen

Alexander ist Rechtsanwalt. Nach Frankfurt kam er, um in einer internationalen Wirtschaftskanzlei zu arbeiten, ehe er die Leitung der Rechtsabteilung einer Investmentbank übernommen hat. Sie liegt mitten im Finanzzentrum Frankfurt am Main. Seine Tage sind geprägt von Besprechungen, immer auf Englisch. Seine Kollegen sitzen von Hong Kong über London und Buenos Aires bis nach New York. Rund um die Uhr und rund um die Welt werden rechtliche Einschätzungen gebraucht. Er trägt viel Verantwortung und seine Arbeit lässt ihm kaum Freizeit. Wie alle anderen Ehrenamtlichen hat er sein eigenes Leben und in dem ist Zeit kostbar. Dennoch steht er zusammen mit seinen gleich gesinnten Kollegen im Ehrenamt um 6:30 Uhr im Franziskustreff. Das Frühstück vorbereiten, damit der Gastraum 7:45 Uhr öffnen kann. Fragt man ihn, was ihn persönlich, neben seinem intensiven Job, noch zu seiner ehrenamtlichen Arbeit motiviert: „Im Job fehlt bei manchen Themen der Sinn, den gibt mir jeden Samstag das Ehrenamt. Hier gibt es mehrere Kollegen, die unter der Woche auch sehr viel arbeiten, wofür sie viel verdienen. Spenden wäre naheliegend, doch wir wollen auch mit anpacken. Erleben, dass es unmittelbar hilft. Arbeit mit Menschen macht mir Freude und gibt mir viel zurück“, sagt Alexander.

Selbst aktiv zu werden hat bei Alexander Tradition: Schon während seines Studiums gab er Kindern Nachhilfe. Später wurde er als Vorlesepate in einem Kindergarten aktiv.

Alexander erinnert sich genau: „Ich kam in Frankfurt an und wusste: Ich brauche einen Ausgleich. Erst recht zu dieser einseitigen Hochhaus-Fassadenwelt von Geld und Geschäften. Ich wollte den Realitätsbezug nicht verlieren.“ Er fing an, nachzufragen, wo Hilfe gebraucht wird. Dabei war ihm der intensive Kontakt zu Menschen wichtig. Bei seinen Recherchen fand er den Franziskustreff.

Zur Premiere zweihundert Gäste

Seine erste Schicht wird Alexander nicht vergessen. An diesem Tag im April 2019 waren gleich zweihundert Gäste da – für die damalige Zeit beinahe rekordverdächtig. Ein eindrucksvoller Tag. Danach war ihm klar: Hier bin ich richtig.

Mittlerweile ist er seit sechs Jahren dabei. In dieser Zeit hat er ein Gespür für die Menschen dort entwickelt: Für die ehren- und hauptamtlich Mitarbeitenden – für ihn im besten Sinne „Überzeugungstäter“, die allesamt „anpacken und was verändern möchten“. Und natürlich die Gäste: „Für die Dauer eines Frühstücks kommen alle zusammen. Die, die gerade so durchkommen. Aber auch die, deren Alltag extrem rau, vom Überlebenskampf und zum Teil von Gewalt geprägt ist. Das hört man manchmal heraus. Aber sie alle merken: Hier ist ein sicherer Raum. Wo sie sich öffnen können. Hier können sie einmal Mensch sein.“

Teewissen und Vorsorge bei ReBeCa

Vor drei Jahren hat Alexander auch damit begonnen, andere Angebote des Franziskustreffs zu bereichern. Zum Beispiel mit Tee – eine Begeisterung, die er mit dem Leiter des Franziskustreffs, Bruder Michael, teilt. Schnell war die Idee eines Teeseminars im Rahmen des Begegnungscafés ReBeCa auf dem Tisch – und das wurde ein schöner Nachmittag mit und für die Gäste. Ebenso der Reisevortrag auf den Spuren der Bibel: durch den Irak reisend mit dem Rucksack, per Anhalter, beim Couchsurfen. „Außerdem habe ich den Gästen an einen weiteren Nachmittag ein wenig Basiswissen zur Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung vermittelt. Gerade Menschen auf der Straße haben oft keine Vertrauenspersonen mehr. Das ist es vielleicht mal wichtig, seinen Willen zu formulieren, um zu vermeiden, dass im Notfall ein staatlicher Betreuer eingesetzt werden muss.“

Aktiv bei der Straßenuni

Doch nicht nur bei ReBeCa gibt Alexander sein Wissen weiter. Als Bruder Michael auf seine Lehrtätigkeit an den Universitäten in Lüneburg und Mannheim aufmerksam wird, hat er schnell noch einen weiteren Lehrstuhl für ihn im Sinn: Bei der Straßen-Uni im Haus am Dom. Das kostenlose Bildungsangebot bieten Stiftung Polytechnische Gesellschaft, Katholische Erwachsenenbildung und Franziskustreff-Stiftung gemeinschaftlich an. Ziel ist es, obdachlosen und wohnungslosen Menschen in Frankfurt Lernorte zu erschließen, wo sie sonst nicht hinkommen. Aber auch, spannende wissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln. Im Mittelpunkt steht die Chance, auch ohne Geld und Wohnung im Leben gesellschaftlich wertvolles Wissen zu erwerben. So lautet das Motto der Straßen-Uni „Leben ist mehr als Überleben. – Jeder Mensch will lernen.– Wichtige Themen werden einfach erklärt“. Das kommt nicht nur bei den Gästen gut an. Es fällt auch gesellschaftlich positiv auf: 2024 gab es dafür den ersten Platz beim Aggiornamento-Preis des Deutschen Katholikentags.

Wissenshunger trotz Obdachlosigkeit

Alexander erinnert sich: „Bruder Michael sagte, da sei noch ein Zeitfenster frei. Und über was aus meiner Berufstätigkeit ich denn gern sprechen wolle? Ich entschied mich für das Thema ‚Was ist eigentlich diese Künstliche Intelligenz?‘. Mehr als 20 Gäste waren sehr interessiert daran zu verstehen, was für Erscheinungsformen Künstliche Intelligenz in Wort, Bild, Ton und Video haben kann. Das führte zu vielen Fragen und einer lebhaften Diskussion. Die drehte sich unter anderem um die Bedeutung von Ethik im Umgang mit diesen technischen Entwicklungen. Manchmal lief die Diskussion auch vom eigentlichen Thema weg. Gar nicht schlimm. Denn es ist am wichtigsten, dass da viel Leidenschaft und ehrliches Interesse zu spüren waren. Denn nur weil Menschen auf der Straße leben, heißt das nicht, dass sie nicht an der Welt teilhaben.“

Alexander ist froh, mit Ideen und beiden Händen dabei zu sein, wenn es heißt: Türen auf für obdachlose und arme Menschen. Für das liebevolle Frühstück in Sicherheit. Für Wissensvermittlung. Für ein Stück gelebter Mitmenschlichkeit auf Augenhöhe. Und die Gäste sowie das ganze Team im Franziskustreff sind dankbar und froh über alle, die sich, wie Alexander, für Menschen in Not einsetzen.

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