Gedanken zum Weltfrauentag am 08.03.2022: ein Kommentar von der Sozialberaterin der Franziskustreff-Stiftung

»Der Weltfrauentag ist ein guter Anlass, um positive Entwicklungen in der Frauenpolitik sichtbar zu machen, aber auch um auf Missstände hinzuweisen. Ein guter Zeitpunkt, um eine Bilanz zu ziehen – was hat sich verbessert, wo befinden wir uns auf dem Weg und was gilt es anzupacken für wirkliche Gleichberechtigung, Vereinbarkeit und soziale Gerechtigkeit?

Den vorangegangenen Frauenrechtlerinnen ist es zu verdanken, dass wir Frauen heute mehrheitlich frei leben. Wir entscheiden uns beispielsweise selbstbestimmt für einen Bildungsweg und Beruf. Dennoch ist der Gender-Pay-Gap leider noch immer Alltag. Jährlich kennzeichnet der Equal Pay Day rechnerisch den Tag, bis zu dem Frauen unentgeltlich arbeiten würden. In diesem Jahr war das der 7. März. Zusätzlich lastet hierzulande immer noch der Großteil unbezahlter Care-Arbeit auf den Schultern von Frauen.

Die Pandemie ist eine Gefahr für die Gleichberechtigung
Auch wenn wir als Frauen in der Regel hierzulande nicht schlecht dastehen, haben sich die  Unterschiede, gerade in der Corona-Zeit, eher wieder vergrößert. Meist waren es wieder die Frauen, weil sie selbst Teilzeitverträge hatten, die die Betreuung der Kinder übernommen haben. Plötzlich galt es gleichzeitig die bezahlte Erwerbsarbeit im Homeoffice sowie die unbezahlte Care-Arbeit inkl. Homeschooling unter einen Hut zu bekommen. So haben Überforderung und leider auch häusliche Gewalt in Familien weiter zugenommen.

Die Unsichtbaren: wohnungslose Frauen
Aus meiner Perspektive findet darüber hinaus vor allem die Lebenssituation wohnungsloser Frauen zu wenig Beachtung. Zum einen, weil die Zahl von wohnungslosen Frauen gar nicht genau erfasst und die Dunkelziffer wahrscheinlich viel höher ist. Zum anderen, weil das Thema mit Scham behaftet ist. Unsere Gesellschaft tut sich schwer mit Fakten, die nicht genau zu bemessen und zu beziffern sind. Wohnungslose Frauen schämen sich oft. Sie zögern meist lange, bevor sie Hilfsangebote annehmen.

Ihre Wohnungslosigkeit halten sie, soweit es geht, verborgen. Sie begeben sich häufig in Abhängigkeitsverhältnisse, hausieren oder nächtigen zeitweise abwechselnd bei FreundInnen oder Bekannten. „Wohnzimmer-Hopping“ oder „Couch-Surfing“ nennen sich diese Übernachtungsformen, bei denen die Frauen nicht selten Opfer von Ausbeutung und/oder Gewalt werden. Was ihre Lage noch um einiges verschlimmert.

Aus meiner täglichen Arbeit weiß ich, dass eine Suchtproblematik oder psychische Erkrankung ein geeignetes Hilfsangebot noch zusätzlich erschweren. Manchmal ist die Sucht dermaßen dominant, dass eine Unterbringung nicht möglich ist. Daneben können psychische Erkrankungen es wohnungslosen Frauen unmöglich machen, sich in beengenden Unterkünften auf andere Frauen einzulassen. Auch empfinden manche Frauen ihre HelferInnen als so bevormundend, dass sie sogar die Straße einer Notunterkunft vorziehen. Und das, obwohl sie dann den Witterungsverhältnissen ausgesetzt sind, ausgeraubt und überfallen sowie sexuell bedrängt werden können. Wenn sie nicht sowieso schon vorher ein Suchtmittel konsumiert haben, greifen viele Frauen zu Alkohol und/oder Drogen, um die Härte auf der Straße leichter ertragen zu können.

Wohnungslosenhilfe in Frankfurt
Eigentlich ist das Hilfesystem in unserer Stadt gut vernetzt und bietet viele Notunterkünfte. Leider richtet sich das Hilfesystem primär an Männer. Es gibt schlichtweg zu wenige Notschlafplätze/Heime und auch zukunftsweisende Projekte wie „Housing-First“ sind noch nicht auf die Bedürfnisse wohnungsloser Frauen abgestimmt. Häufige Begründung dafür ist, dass die Frauen ganz gut bei irgendjemandem unterkämen. Dabei ist es doch gerade das mangelnde Angebot an Unterbringungs- und Hilfsmöglichkeiten speziell für Frauen, der Grund, der sie in dubiose Abhängigkeiten drängt!

Hier besteht dringend noch Handlungsbedarf, und zwar gleichermaßen für Singles wie auch für Frauen mit Kindern.

Leider existiert keine Lobby für wohnungslose Frauen, die sich für ihre Belange in der Kommunalpolitik einsetzen könnte.

Was können wir alle tun?
Meiner Meinung nach wäre es schön, wenn sich eine Fraueninitiative bilden würde. Diese könnte sich mit dem Wohnungsamt, mit der Immobilienwirtschaft, mit Bauherren und Wohnungsbaugesellschaften an einen Tisch setzen, um die Möglichkeit einer Integration von wohnungslosen Frauen in gemeinschaftliche Wohnprojekte zu diskutieren.

Ich wünsche mir heute am Weltfrauentag, dass wir Frauen uns selbst mehr mit wohnungslosen Frauen solidarisieren. Mit ehrlichem Interesse auf sie zugehen, ohne zu urteilen oder abzuwerten. Wir sollten versuchen sie besser zu unterstützen und ihnen achtsam, mit Mitgefühl begegnen.

Mit Blick auf die vielen ,Baustellen‘ wie Gender-Pay-Gap, dem Ehegattensplitting und Rentendefiziten aus Kinderbetreuungszeiten usw. müssen wir uns einfach klar machen, dass Obdachlosigkeit im Prinzip jede von uns treffen kann. Aus der Sicht wohnungsloser Frauen betrachtet, wären wir sicherlich auch froh und dankbar einen gewissen Zusammenhalt unter uns Frauen zu erfahren und sich gewiss zu sein, sich nicht als „Einzelkämpferin“ durch die Welt schlagen zu müssen.«

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Svetlana Strojan zum Weltrfauentag. Foto: Kiên Hoáng Lé, lêmrich